Freiwilliges, bürgerschaftliches Engagement in der sozialen Arbeit braucht entsprechende Rahmenbedingungen, für die sowohl die Caritas als auch der Sozialstaat und die Kirchen zu sorgen haben – das sagte Dr. Matthias Möhring-Hesse von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster auf der Fachtagung der Arbeitsgemeinschaft der Caritasverbände Rheinland-Pfalz mit dem Titel „Ist die soziale Arbeit noch zu retten?“ am 11. Februar im Erbacher Hof in Mainz. „Bürgerschaftliches Engagement ist Mehr-Wert, und zwar für die freiwillig Engagierten in der sozialen Arbeit, für die Klienten und für die kirchliche Wohlfahrtspflege“, sagte Möhring-Hesse: Der Mehr-Wert für die Engagierten bestehe darin, dass sie anderen wirksam helfen und etwas Sinnvolles tun sowie sich qualifizieren können. Ihr Engagement trägt dazu bei, dass die Klienten Unterstützung und Zuwendungen erhalten, die entweder nicht sozialstaatlich anerkannt sind oder mit Hauptamtlichen nicht bereitgestellt werden könnten, so Möhring-Hesse. Den Mehr-Wert für die kirchliche Wohlfahrtspflege sieht Möhring-Hesse in der gesellschaftlichen Legitimierung ihrer Arbeit durch das Engagement der Freiwilligen in den Einrichtungen. Möhring-Hesse konstatierte, dass auch bei den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege zunehmend eine »Verbetrieblichung« Einzug hält – und damit die soziale Arbeit für sich freiwillig engagierende Bürger immer weniger attraktiv wird: „Eine Caritas, die gegenüber dem beauftragenden Sozialstaat immer stärker wie ein Betrieb geführt werden muss, kann den Freiwilligen nicht die notwendigen Freiräume bieten, sich im eigenen Auftrag und in eigener Regie zu engagieren“, warnte Möhring-Hesse.
Prof. Dr. Thomas Olk von der Universität Halle-Wittenberg verwies in seinem Fachreferat „Sozialstaat – Aufbruch, Umbruch, Abbruch?“ darauf, dass der heutige Sozialstaat sich als »aktivierender Staat« versteht, der an die staatlichen Leistungen immer eine Gegenleistung knüpft (»Fördern und Fordern«): „Es geht dem Staat um eine Prozessoptimierung und nicht länger um sozialethische Prinzipien bei der Erbringung von sozialen Leistungen“, so Olk. „Ziel des Staates ist, die Effektivität und Effizienz zu steigern und eventuell vorhandene Rationalisierungsreserven auszuschöpfen – um damit die Kosten für die soziale Arbeit zu senken.“ Die Bedeutung von bürgerschaftlichem Engagement sieht Olk darin, die Schwächen einer professionalisierten Dienstleistungsgesellschaft zu kompensieren, und das bürgerschaftliche Engagement mit sozialstaatlichen Arrangements und marktwirtschaftlichen Lösungen zu kombinieren. Olk forderte daher, die für eine starke Zivilgesellschaft nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen: „Es bedarf eines ermöglichenden, aktivierenden Sozialstaats, der das bürgerschaftliche Engagement und die politische Beteiligung der Bürger nicht als Gratis-Ressource in Zeiten leerer Kassen ansieht, sondern dieses aktiv unterstützt und fördert“, so Olk. Es müsse darum gehen, durch gezielte Formen der Aktivierung und professionellen Unterstützung Möglichkeiten und Wege zur Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und Strukturen zu eröffnen und gerade unter den Bedingungen der kritischen öffentlichen Finanzen die Prioritäten neu zu setzen durch verstärkte Investitionen in Erziehung, Bildung, Wissenschaft, soziale Dienste usw. Olk kritisierte wie Möhring-Hesse, dass die Wohlfahrtsverbände in den vergangenen Jahren sich hauptsächlich damit befassten, wie sich ihre Einrichtungen und Dienste in einem Sozialmarkt behaupten können. Maßnahmen waren die Bildung größerer Betriebseinheiten, die Optimierung der Geschäftsprozesse usw. „Damit ist jedoch das Verhältnis zwischen Dienstleistungsbereich und einem »Idealverein« mit seinen ehrenamtlichen Kräften aus dem Gleichgewicht geraten“, so Olk. Olk appellierte, das freiwillige Engagement in den Verbänden zum Aufbau lokaler Vernetzungsstrukturen zu nutzen und die Einrichtungen und Dienste für die Mitwirkung von Vereinen, Institutionen und Einrichtungen des Stadtteils zu öffnen. Auch die Entwicklung von Fördervereinen oder die Mitwirkung von Angehörigen, Pati-enten und Klienten in Einrichtungen seien ein wichtiger Bestandteil, um das vorhandene soziale Potenzial einzubinden.
Auch Prälat Alfons Henrich, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Caritasverbände Rheinland-Pfalz, hatte bereits in seiner Begrüßung darauf hingewiesen, dass bürgerschaftliches Engagement – verstanden als Partizipation und Teilhabe – neue Qualitäten in die soziale Arbeit bringt.
Die Podiumsdiskussion am Nachmittag stand im Zeichen der Bedeutung einer zunehmenden »Verbetrieblichung« der sozialen Arbeit durch die Freie Wohlfahrtspflege. Dr. Hejo Manderscheid, Direktor des Caritasverbandes für die Diözese Limburg e.V., bezog Stellung zu der Frage, ob die freiwillig Engagierten angesichts der zunehmenden Ausrichtung der sozialen Dienste als Wirtschaftsunternehmen aus dem Blick geraten und an den Rand ge-drängt werden: „Ehrenamtliches Engagement soll nicht als »Sahnehäubchen« oder als billige Personalressource gesehen werden“, so Manderscheid, „sondern es muss in die verbandlichen Prozesse und zu einem professionellen Management eingebunden werden.“ Hierfür gäbe es in der Caritas zahlreiche gelungene Beispiele, so bei der Beteiligung von Eltern in Kindergärten oder bei der Einbindung der Bürger in die soziale Stadtteilarbeit. Manderscheid betonte, dass für die Förderung von ehrenamtlichem Engagement statt starrer Standards entsprechende Spielräume für die Anbieter sozialer Arbeit geschaffen werden müssten, um die Ressourcen entsprechend flexibel und sinnvoll einsetzen zu können.
Dr. Frank Heuberger von der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei sagte, dass trotz der Finanzknappheit des Staates und der Kommunen nicht all das auf die Ehrenamtlichen abgewälzt werden darf, was der Staat nicht mehr leisten kann. „Der Staat ist gefordert, für die entsprechenden Rahmenbedingungen zu sorgen, wie beispielsweise mit der jetzt eingeführten Haftpflicht- und Unfallversicherung für Ehrenamtliche, damit freiwilliges Engagement möglich wird“, so Heuberger.
Dr. Matthias Möhring-Hesse ging nochmals darauf ein, dass sich bei der Caritas ein Trend hin zur »Verbetrieblichung« abzeichnet – mit der Gefahr, dass die Caritas für Ehrenamtliche immer unattraktiver wird. „Ich sehe jedoch für die Caritas die Möglichkeit, den Trend zur Verbetrieblichung zu stoppen und der Politik zu verdeutlichen, dass von der Gesellschaft keine Sozialbetriebe gewünscht werden, sondern soziale Dienste mit Mehr-Wert“, so Möh-ring-Hesse.
Gisela Born, die stellvertretende Vorsitzende der Ehrenamtlichen-Vertretung Caritas-Konferenzen Deutschlands, betonte, dass auch in Zukunft das sich Einmischen von Ehrenamtlichen in die Politik nötig ist: Da einzelne Engagierte jedoch wenig Einfluss nehmen können, müssen sich Ehrenamtliche organisieren, um ihre Interessen auf politischer Ebene durchzusetzen, so Born. „Dabei ist jedoch die Unterstützung und die Qualifizierung durch Hauptamtliche unabdingbar ebenso wie ein Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen“, so Born weiter.
Prof. Dr. Thomas Olk wies darauf hin, dass es neben einem Markt- und Staatsversagen auch Schwächen innerhalb der Bürgergesellschaft gibt. Bezogen auf die Caritas bemängelte er, dass sie zwar prinzipiell äußerst professionell aufgestellt ist, aber in ihren Strukturen zu wenig Ehrenamtliche hat. „Die Caritas hat es meines Erachtens bislang nur ungenügend geschafft, intelligente Arrangements aufzubauen“, so Olk.