Was bedeutet es, in Einrichtungen der Jugendhilfe kultur- und religionssensibel zu arbeiten? Wie geht glaubwürdiges, christliches Erziehen? Welche Haltung brauchen MitarbeiterInnen der Jugendhilfe, um Jugendlichen Werte zu vermitteln? Wie ist die Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge? Wie erkennt man Radikalisierungstendenzen bei jungen Menschen? Diesen Themen widmete sich der Fachtag der Jugendhilfe der Arbeitsgemeinschaft der Caritasverbände Rheinlandpfalz in Bingen im Hildegard-Forum.
"Religion ist Bestandteil der Kultur jeder Gesellschaft. Jeder Mensch glaubt an etwas, auch wenn viele heute sagen, sie seien Atheisten", sagte der emeritierte Professor Dr. Martin Lechner, ehemaliger Leiter des Jugendpastoralinstitutes Don Bosco aus Benediktbeuren. "Es gibt Religionen, die die Kultur dominieren, und es gibt Kultur, die sich von Religion emanzipiert oder zur Religion in Konkurrenz tritt." Im besten Falle könnten sich beide Bereiche gegenseitig inspirieren.
"Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bringen eine ganz andere Religiosität mit, als wir sie kennen. Das führt aber auch dazu, dass wir uns wieder stärker mit diesen Fragen beschäftigen müssen", so Lechner. Seine Überzeugung ist es, dass alle Kinder ein Recht auf religiöse Bildung haben. "Religiöse Bildung setzt keine Glaubensüberzeugung voraus. Aber sie schafft die Rahmenbedingungen dafür, dass Glaube, Liebe und Hoffnung wachsen können und daraus eine Glaubensentscheidung getroffen werden kann." Wer von nichts wisse, habe keine Wahl.
Dabei gehe es in der Jugendhilfe gar nicht in erster Linie um ein Bekenntnis. "Es geht um glaubwürdiges Handeln, um eine Wertehaltung, um Verlässlichkeit der Mitarbeitenden gegenüber den ihnen anvertrauten Menschen", sagte Lechner. "Es ist nicht das Wort ,Gott‘, das einen Diskurs religiös macht. Entscheidender als die Rede von Gott sind göttliche Erfahrungen." Er zeigte auch Beispiele aus einer Zusammenarbeit mit Jugendlichen, die Fotos von den Dingen machen sollten, die ihnen etwas bedeuten. "Sie sollten auch etwas dazu schreiben. Heraus kam, dass junge Menschen sehr wohl an etwas glauben, auch wenn sie das nicht Gott und nicht Religion nennen."
Claudia Porr, Referatsleiterin "Frühe Hilfen, Hilfen zur Erziehung, Kinderschutz und Beratung" vom Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz, Erläuterte die politische Situation und die Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene im Bezug auf die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in den Einrichtungen der Jugendhilfe. "In Rheinland-Pfalz leben derzeit rund 2900 unter 18-jährige, unbegleitete Flüchtlinge. 90 Prozent davon sind Jungs. Bisher wurden 2000 Asylanträge gestellt, von denen 1300 entschieden wurden", nannte sie die aktuellsten Zahlen. "Es handelt sich dabei um ein Drittel aus Afghanistan, ein Viertel Syrer, ein Achtel Eritreer, und der Rest sind kleinere Gruppierungen aus vielen anderen Ländern."
Das Problem der Jugendhilfe sei vor allem, dass die Jugendlichen, wenn sie 18 Jahre alt werden, behandelt werden, wie Erwachsene, der Situation aber oft nicht gewachsen seien. "Es ist politisch zu diskutieren, wie die Schulen bei den über 18-Jährigen in die Pflicht genommen werden können, und auch, welche Finanzierungen und Konzepte es für die 18- bis 21-Jährigen braucht", so Porr. "Da geht es auch um die Präzisierung des Begriffes ,Jugendwohnen‘. Welche Konzepte können wir da entwickeln, für diese Altersgruppe?"
Die Mitarbeitenden in der Jugendhilfe beschäftigte vor allem die Frage, was passiere bei einem abgelehnten Asylantrag. "Was machen wir, wenn der erste 18-Jährige abgeschoben wird?", brachte ein Teilnehmer die Befürchtungen auf den Punkt. "Rheinland-Pfalz setzt nicht auf Abschiebungen, sondern in dem Fall auf freiwillige und unterstützte Rückkehr", so Porr.
Um das Erkennen islamistischer Radikalisierung bei jungen Menschen ging es im Vortrag von Dr. Marwan Abou Taam vom Landeskriminalamt in Rheinland-Pfalz. Für den Umgang mit der aktuellen Debatte und den Blick auf gefährdete Jugendliche gab er zu bedenken: "Nicht die Religion ist der Schlüssel zum Verständnis der Gesellschaft, sondern die Gesellschaft ist der Schlüssel zum Verständnis der Religiosität." Man müsse sich das Umfeld der Jugendlichen anschauen und nach den Bildern und Vorstellungen haben, die sie im Kopf haben. Auch welche Vorstellungen vom Islam junge Menschen haben, müsse man erfragen., und im Blick haben, wie es ihnen geht. "Es besteht die Gefahr der Bildung von Parallelgesellschaften, wenn radikale Salafisten die besseren Sozialarbeiter sind", warnte Abou Taam.